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Miriam Hamann
The constant state of change
September 8th - October 7th 2023
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zqm Miriam Hamann

zqm Miriam Hamann

zqm Miriam Hamann
Miriam Hamann, Under the pole there lies a bare rock in the midst of the sea, Ausstellungsansicht zqm, 2023

Bereits vor Tausenden von Jahren beobachteten Zivilisationen wie die Babylonier, die Ägypter und die Maya den Himmel und entwickelten einfache Formen der Astronomie, um die Bewegungen der Sterne, Planeten und anderer Himmelskörper zu verfolgen. Diese Beobachtungen dienten oft Religions-, Agrar- oder Navigationszwecken. Auch die Vermessung unserer Welt reicht bis in die Antike zurück, in der schon rudimentäre Vermessungsmethoden entwickelt wurden, um Landesgrenzen zu bestimmen und Landwirtschaft zu betreiben. Miriam Hamann widmet sich seit Jahren genau diesen Themen, erforscht topografische, geografische und astronomische Phänomene, die das Leben und die Lebewesen auf der Erde beeinflussen. Neben dem Wetter oder den direkten Auswirkungen der Plattentektonik, die uns unmittelbar betreffen, gibt es Gegebenheiten, die wir im Alltag meist nicht bewusst wahrnehmen oder beobachten. Die Künstlerin hat zwei dieser Phänomene für die Ausstellung "The constant state of change" im zqm sichtbar gemacht.

Im Eingangsbereich des Galerieraums schaut man zur Rechten in einen kleinen Aufstieg. Er fungiert diesmal als Blickfenster in das Universum. Die Neonarbeit "Motions of Mars" (2023, Teil einer gröeren Serie) visualisiert eine Planetenschleife, die in Realität eigentlich gar nicht existiert, jedoch mit bloßem menschlichen Auge als solche wahrgenommen wird. Wenn wir den Mars von der Erde aus beobachten, scheint er - gemessen an den Fixsternen - für einige Wochen rückwärts über den Himmel zu wandern, bevor er seine normale, direkte Bewegung wieder aufnimmt. Diese retrograde Bewegung tritt ungefähr alle 26 Monate auf, wenn die Erde, die sich näher an der Sonne befindet und sich somit in ihrer Umlaufbahn schneller bewegt, den Mars überholt. Aufgrund dieser Geschwindigkeitsdifferenz kommt es zu dem illusionistischen Phänomen. "Motions of Mars" zeichnet die sichtbare, aber irreale Bahn des Planeten in gleißendem Licht nach. In Anbetracht dessen, dass der Mars einen gigantischen Weg im All hinlegt, kommt die feine, in ihrer Dimension 80cm langen, Neon-Schleife schier verniedlichend daher. Sie zeigt sehr bildhaft, wie klein doch unsere menschliche Perspektive ist, wie wenig wir letzten Endes erfassen können und hinterfragt die Sphären unserer Realität.

In der Skulptur "Under the pole there lies a bare rock in the midst of the sea" (2023), die im Hauptraum des zqm in der Schwerelosigkeit zu schweben scheint, beschäftigt sich Miriam Hamann mit dem magnetischen Nordpol. Der Kartograph und Geograph Gerhard Mercator nahm im 16. Jahrhundert an, der magnetische Pol sei ein Fels mitten im Meer, von welchem das magnetische Feld ausginge. Heute weiß man, dass dieser vom flüssigen äußeren Erdkern angetrieben wird. Der magnetische Nordpol befindet sich da, wo die Kompassnadel hinzeigt, und hat keinen Fixpunkt - er wandert stetig über die Nordhalbkugel und bewegt sich seit ein paar Jahren in ungewöhnlich schnellem Tempo durch die östliche Hemisphäre in Richtung Sibirien. Das Erdmagnetfeld wird seit Jahrzehnten von Wissenschaftlern durch das Weltmagnetmodell ("World Magnetic Model", kurz WMM) erfasst. Es zeigt die aktuelle Abweichung zwischen magnetischer und geografischer Richtung sowie die Stärke des Magnetfelds für alle Regionen der Welt. Darauf basierend werden magnetische Geräte immer wieder neu geeicht. Der einfachste Kompass, moderne Navigationssysteme, die Schiffe auf See steuern, bis hin zu Google Maps sowie GPS-Systemen liegen diesen Messungen zugrunde und sind auf die Genauigkeit dessen angewiesen. Das Magnetfeld ist damit jedoch nicht nur maßgeblich für die Orientierung von uns Menschen verantwortlich, mittlerweile wird einigen Tierarten ein regelrechter Magnetsinn zugesprochen. Da der magnetische Nordpol im Moment rasant über die Nordhalbkugel rast - genauer gesagt mittlerweile in einem Tempo von 55 Kilometern pro Jahr - müssen die Messungen des WMM in kürzeren Abständen gemacht werden, damit die Geräte noch sinnvolle Informationen abgeben können.
Miriam Hamann hat die Bewegung des magnetischen Nordpols in eine schwarze Ellipse übersetzt, die sich im zqm wie eine Zeichnung durch den weiß gestrichenen und hell beleuchteten Raum schwingt. Die Länge der Ellipse beträgt 6,28m und bildet damit die Geschwindigkeit der Bewegung des Pols pro Stunde nach. Bei längerer Betrachtung wird die Orientierung im Raum plötzlich schwer, als verliere man den Boden unter den Füßen. Unsere Wahrnehmung der Realität wird stark vom Sehsinn beeinflusst. Was ist, wenn das, was wir sehen, nicht der Wirklichkeit entspricht? Was ist, wenn die Wirklichkeit morgen eine andere ist?

Text Miriam Jesske








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